Zusammenfassung und Kommentar zur deutschen Studie zur 4-Tage-Woche
Wer sich selbst die 49 Seiten der Studie auf Englisch nicht antun möchte, aber dennoch fundiert mitreden will, wird hier fündig
Nur soviel vorab: die Ergebnisse geben weder ausgewiesenen 4-Tage-Woche-Befürwortern noch klaren 4-Tage-Woche-Gegnern recht.
Warum das so ist, wie die Ergebnisse sind und was sie bedeuten, möchte ich im Folgenden näher begründen.
Die Macher der deutschen Studie haben einiges besser gemacht als bei der Vorgängerstudie aus dem UK
Die gute Nachricht: Die deutschen Macher haben auf die Kritik an der UK-Studie zur 4-Tage-Woche reagiert und einiges besser gemacht. Zum einen gibt es nicht nur Auswertung von subjektivem Empfinden, sondern auch objektive Auswertungen in Bezug auf Stresslevel (Haarproben, Ergebnisse liegen aber noch nicht vor), Aktivitäts- und Schlafverhalten mit Fitnesstrackern bzw. Smartwatches. Und diese Auswertungen wurden nicht nur bei teilnehmenden Mitarbeitern, sondern auch bei einer vergleichbaren Peergroup erhoben, die nach wie vor im 5-Tage-Modell arbeitete.
Dies führte z.B. zu der Erkenntnis, dass innerhalb des Testzeitraums zwar ein relevanter Rückgang der Abwesenheitsquote (z.B. Krankheit) zu beobachten war (von 0,81 auf 0,74 Tagen pro Monat). Da dieser aber auch bei der Peergroup stattfand, gab es keinen statistisch relevanten Zusammenhang, der auf die 4-Tage-Woche zurückzuführen gewesen wäre, was auch so ausgewiesen wurde. In der UK-Studie wäre das als 4-Tage-Woche-bedingter Rückgang gefeiert worden.
Es gibt ein erkennbares Bemühen, Transparenz über teilnehmende Unternehmen, deren Motivation und Ausgestaltung der Modelle herzustellen.
Letztendlich haben 41 Unternehmen teilgenommen. Wie in der UK-Studie waren dies überwiegend kleine Unternehmen, d.h. 86% haben weniger als 250 Mitarbeitende, 54% hatten weniger als 50, 13% sogar weniger als 10%, 14% hatten mehr als 250.
36% der Teilnehmer sind aus der Dienstleistungsbranche, 18% aus Produktion und Konstruktion, 13% Gesundheitswesen und Sozialdienstleistungen, diverse andere Branchen wie Telekommunikation, Erziehung, Medien, Kunst, Gastro und Handel waren jeweils zwischen 4% und 7% beteiligt, d.h. es waren jeweils 2-4 Unternehmen.
Ganze 40% der Unternehmen haben die 4-Tage-Woche nur bei einzelnen Teams bzw. Mitarbeitenden umgesetzt
Was die Aussagekraft der Studie m.E. etwas einschränkt, ist, dass nur 60% der Unternehmen die 4-Tage-Woche für alle Mitarbeitenden umgesetzt haben, 40% und gerade die größeren Unternehmen haben die 4-Tage-Woche nur bei einzelnen Teams oder sogar nur bei einzelnen Mitarbeitenden umgesetzt, was z.B. die Frage aufwirft, ob bei Teilnehmern aus der Produktion die 4-Tage-Woche auch bei der Deskless Workforce oder nur in der Verwaltung umgesetzt wurde?
Vor der Einführung der 4-Tage-Woche wurden produktivitätssteigernde Maßnahmen umgesetzt
Die teilnehmenden Unternehmen konnten an diversen Workshops teilnehmen, um die Produktivität zu erhöhen, damit die verkürzte Arbeitszeit kompensiert werden kann. 65% der Unternehmen reduzierten Ablenkungen, 63% optimierten Ihre Prozesse, 52% modifizierten ihre Meeting-Kultur und 25% führen digitale Tools ein.
Auch die deutsche Studie ist nicht repräsentativ und beliebig übertragbar
Da die teilnehmenden Unternehmen sich selbst beworben haben und nicht repräsentativ ausgewählt wurden, kann auch diese Studie nicht beliebig auf andere Unternehmenskontexte übertragen werden, worauf die Studienmacher selbst auch hinweisen. Dies zeigt sich auch daran, dass die 4-Tage-Woche sich nicht positiv auf die Jobzufriedenheit und Fluktuationsquote ausgewirkt hat, da diese Werte bei den teilnehmenden Unternehmen bereits vor der Studie über dem Durchschnitt lagen.
Ich selbst hätte mir noch ein paar mehr Details bzw. mehr Aufschlüsselung der Ergebnisse wie folgt gewünscht:
✔️Unternehmensgröße je Branche
✔️Komplettumsetzung 4-Tage-Woche vs. nur einzelne Teams / Mitarbeitende je Unternehmensgröße und Branche
✔️Aufteilung der gewählten Modelle je Unternehmensgröße und Branche
Nur 34% der Unternehmen haben die Arbeitszeit tatsächlich auf 80% reduziert
Bei der Umsetzung wurde zwar der 100-80-100-Ansatz verfolgt, d.h. die Arbeitszeit sollte um 80% reduziert werden bei 100% Lohn und 100% des Outputs. Tatsächlich haben dies aber nur 34% der Unternehmen umgesetzt, der Rest reduzierte die Arbeitszeit zwischen 11% und 19%. 85% der Unternehmen strebten einen fixen bzw. garantiert freien Tag pro Woche an, wovon 51% den Freitag als freien Tag wählten.
Die meisten umgesetzten Modelle waren eine Mischung aus moderater wöchentlicher Arbeitszeitreduktion (im Schnitt lag die wöchentliche Arbeitszeit bei 34,75 Stunden) bei leichter Verlängerung der Arbeitszeit an den verbliebenen Arbeitstagen. 15% haben alternative Modelle umgesetzt, wie z.B. die Verkürzung der Arbeitszeit pro Tag bei 5 Arbeitstagen pro Woche oder einen freien Tag alle zwei Wochen. Hervorzuheben ist, dass die durchschnittlichen monatlichen Überstunden im Testzeitraum von 6,41 auf 4,83 Stunden zurückgegangen sind, d.h. die Arbeitszeitverkürzung wurde nicht durch Mehrarbeit kompensiert.
Tatsächlich wurden im Schnitt über alle Unternehmen ähnlich wie in der UK-Studie 4,46 Tage pro Woche gearbeitet
Bei vielen Unternehmen kam es also vor, dass man auch an einem 5. Tag gearbeitet hat, wenn der Bedarf entsprechend hoch war. Dann zwar auch mal nur 2-3 Stunden, aber eine reine 4-Tage-Woche war es nicht mehr.
Konkret heißt das:
Die Studie ist keine reine 4-Tage-Woche-Studie, sondern wertet aus, welche Ergebnisse man durch eine moderate Arbeitszeitverkürzung in Kombination mit auf die jeweiligen Bedürfnisse angepassten intelligenter Arbeitszeitflexibilisierung erreicht.
Oder anders gesagt:
Alle in der Studie ausgewiesenen positiven Effekte erreicht man mit einer flexibilisierten 35-Stunden-Woche mit im Schnitt 4,5 Arbeitstagen. Eine reine 4-Tage-Woche benötigt man dafür nicht.
Aber welche positiven Effekte wurden nun erreicht?
- Produktivität: Die Umsätze und Ergebnisse vor dem Test wurden auch in der Testperiode erreicht, d.h. die geringere Kapazität konnte in der Regel durch eine höhere Produktivität ausgeglichen werden. Wichtig ist an der Stelle nochmal die Erwähnung, dass nicht die 4-Tage-Woche automatisch zu Produktivitätssteigerung geführt hat, sondern ergriffene Maßnahmen im Vorfeld. Während der Testphase hat die Anzahl der Mitarbeitenden in den Unternehmen zugenommen. Dies wurde teilweise mit Wachstum begründet, teilweise aber auch damit, dass man z.B. in 24/7-Bereichen Mitarbeitenden einstellen musste, weil in diesen Bereichen die verringerte Kapazität nicht durch Produktivitätserhöhung ausgeglichen werden konnte.
- Mitarbeiterzufriedenheit: Die Mitarbeiterzufriedenheit hat gegenüber der Peergroup deutlich zugenommen, 50% der Mitarbeitenden gaben an, dass sie sich allgemein besser bzw. deutlich besser fühlen. Allerdings geht das nicht mit einer gesteigerten Jobzufriedenheit einher, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die Mitarbeitenden mehr Zeit (+1,56 Stunden pro Woche) hatten für Freizeitaktivitäten, Familie und Freunde.
- Arbeitgeberattraktivität: Knapp 70% der Unternehmen gaben an, dass die 4-Tage-Woche sich positiv auf das Recruiting ausgewirkt hat, die Fluktuation hat sich von einem bereits guten Ausgangsniveau nicht verbessert.
- Kranktage: Es konnte kein Rückgang festgestellt werden, der eindeutig mit der 4-Tage-Woche in Verbindung gebracht werden konnte.
- Differenz in subjektiver und objektiver Wahrnehmung: Bei den Umfragen haben die Manager die Effekte der 4-Tage-Woche deutlich besser bewertet, als es in den einzelnen objektiven Metriken herauszulesen ist. Es scheint also auch einen gewissen Bias zu geben, da man sich durch die Teilnahme genau diese Effekte gewünscht hat.
- Gesundheit: Die wahrgenommene mentale bzw. psychische Gesundheit hat sich in der Testperiode auf einer Skala von 5 um 0,29 bzw. 0,27 verbessert
- Wahrgenommener Stress: Der wahrgenommene Stress hat sich auf einer Skala von 5 um 0,29 Punkte reduziert. Während Mitarbeitende der Peergroup pro Tag 190 Stressminuten aufzeichneten, waren es bei den Teilnehmenden der Studie knapp 13 Minuten weniger
- Aktivität: Studienteilnehmende liefen pro Tag im Durchschnitt 387 Schritte mehr als die der Peergroup
- Schlaf: Studienteilnehmende schliefen pro Woche im Durchschnitt 38 Minuten mehr als die der Peergroup
- Verwendung der gewonnenen Zeit: Die gewonnene Zeit wurde für Selbstfürsorge, Hobbies, soziale Kontakte, Familie, Carearbeit und Haushalt verwendet. Die Unzufriedenheit, für derartige Dinge nicht genug Zeit zu haben, hat bei den Teilnehmenden im Rahmen der Testphase jeweils deutlich abgenommen
- Nachhaltigkeit: Es gab keine signifikanten Hinweise, dass die 4-Tage-Woche sich positiv auf den CO2-Footprint ausgewirkt hätte
- Weiterführung Unternehmen: 73% der teilnehmenden Unternehmen wollen mit dem jeweiligen Modell weiterarbeiten, wobei einige die Modelle noch anpassen werden. 7% sind unentschieden und 20% stellen den Versuch (erstmal) ein.
- Weiterführung Mitarbeiter: 83% der Mitarbeitenden würden das jeweilige Modell gerne beibehalten. 17% würden entweder gar nicht oder nur bei einer Gehaltssteigerung von über 50% wieder in das alte 5-Tage-Modell gehen, 79% nur gegen eine Gehaltsteigerung von 10-49%.
Fazit: Die 4-Tage-Woche ist weder ein Wundermittel noch der Weltuntergang
Die sehr gute gemachte Studie zeigt klar auf, welche positiven Effekte die Verkürzung und #Flexibilisierung der #Arbeitszeit auf Unternehmen und Mitarbeitende haben können, sofern das Ausgangsniveau entsprechend hoch ist. Diese Effekte pauschal zu negieren oder als Blödsinn abzutun, grenzt daher mittlerweile an Realitätsverweigerung.
Die Studie zeigt aber auch sehr deutlich auf, dass diese Effekte nicht ausschließlich durch die 4-Tage-Woche erreicht werden können bzw. zeigt im Umkehrschluss sogar auf, dass diese bereits durch eine 4,5-Tage Woche bei flexibilisierter 35 Stunden Wochenarbeitszeit erreicht werden können. Es wird schon seine Gründe haben, dass sowohl in der #UKStudie, in Island und nun auch in Deutschland die tatsächlich erreichten Werte immer um die 4,5 Tage und 35 Stunden lagen. Es mag einzelne Unternehmen und Geschäftsmodelle geben, die 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich und 4 Tagen ohne Probleme hinbekommen, die Masse scheint es aber nicht zu sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch deutlich kritisieren, dass unter dem Begriff 4-Tage-Woche zunehmend die beschriebene Arbeitszeitflexibilisierung subsumiert wird, und damit alle Effekte immer einer reinen 4-Tage-Woche zugeschrieben werden. Dies ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern führt zu der anfangs beschriebenen Polarisierung, da gerade die Gegner nicht wahrnehmen, dass es auch alternative, wirtschaftlich sinnvolle Arbeitszeitflexibilisierung jenseits des reinen 4-Tage-Modells gibt und dass eine Arbeitszeitverkürzung unter bestimmten Voraussetzungen sehr postive Auswirkungen haben kann, die den Kapazitätsverlust mehr als ausgleichen.
Persönlich freuen mich die Ergebnisse der Studie, da sie genau das aufzeigen, was ich seit 2 Jahren auf LinkedIn, Vorträgen und unter anderem auch in meinem Buch „Wundermittel 4-Tage-Woche – Chancen, Risiken, Grenzen und flexible Alternativen“ predige:
Wir brauchen flexible Arbeitszeitmodelle mit gesunden Arbeitszeiten, die individuell auf die Organisation angepasst werden, für Mitarbeitende attraktiv und für Unternehmen leistbar sind. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen auch die 4-Tage-Woche sein, darüber hinaus gibt es aber unzählige weitere Möglichkeiten, die die gleichen Effekte haben, aber wirtschaftlicher sind und ggf. auch weniger Widerstände hervorrufen bzw. Polarisierung schaffen.
Diesen Beitrag teilen