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Vier-Tage-Woche: Was uns die aktuellen Ergebnisse der britischen Studie wirklich sagen

In dieser Woche war viel zu lesen über die Ergebnisse einer britischen Studie zur Vier-Tage-Woche. Im besseren Fall war die Schlagzeile seriös formuliert wie „Forscher ziehen positives Fazit aus Pilotprojekt zur Viertagewoche“ (Zeit online[1], Stand 21.2.23), im schlechteren sehr simplifizierend wie „Vier-Tage-Woche steigert laut Studie den Umsatz“ (Rheinische Post, 22.2.23). Als mit dem Thema Arbeitszeit sehr eng verbundener Mensch und Berater stellen sich mir sofort zwei Fragen, wenn ich solche Schlagzeilen und die zugehörigen Berichte lese:

  • Was können wir aus dieser Studie tatsächlich lernen?
  • Was sagt uns das über den potentiellen Nutzen einer Vier-Tage-Woche in einem konkreten Unternehmen?

Über meine Sicht auf die Antworten zu diesen Fragen möchte ich an dieser Stelle sprechen und hoffe, dass darin auch für Sie als Leser interessante Aspekte zu finden sind.

Welche Fakten hat die Studie ermittelt?

Kommen wir zunächst zur ersten Frage: Was können wir aus der Studie lernen?

Dazu müssen wir aus den veröffentlichten Texten zunächst die Fakten herausfiltern. Was erfahren wir aus den öffentlich zugänglichen Texten darüber, was tatsächlich untersucht wurde und welche Ergebnisse ermittelt werden konnten?

Die wichtigsten Fakten, die sich mir beim Lesen zahlreicher Texte über die Ergebnisse, vor allem aber aus der Studie[2] selbst erschließen:

  • 61 Unternehmen mit insgesamt ca. 2.900 Mitarbeitern[3] haben an dem Pilotprogramm teilgenommen.
  • Es handelt sich überwiegend um kleinere Unternehmen: 66% der Unternehmen haben maximal 25 Mitarbeiter.
  • Ein großer Teil der Unternehmen stammt aus den Branchen, in denen Teilzeitarbeit schon seit längerem recht verbreitet ist (über 50% aus Marketing, Dienstleistung, Nonprofit, Gesundheitswesen), nur vier der teilnehmenden Unternehmen sind produzierende Unternehmen.
  • Die Unternehmen haben den Mitarbeitern eine Reduzierung von durchschnittlich fünf auf durchschnittlich vier Arbeitstage pro Woche, entsprechend ca. 80% der zuvor geltenden Arbeitszeit, zugestanden bei Beibehaltung des vollen Entgelts.
  • Die Studie erstreckte sich über einen Zeitraum von sechs Monaten von Juni bis Dezember 2022.
  • 92% der teilnehmenden Unternehmen sagen am Ende der Studie, dass sie die Vier-Tage-Woche fortführen möchten.
  • Bei 23 der teilnehmenden Unternehmen lag der Umsatz am Ende der Studie gemittelt um 1,4% über dem Umsatz zu Beginn der Studie. Bei 24 anderen Unternehmen aus der Studie war der Umsatz in der Zeitdauer der Studie um 34,5% höher als in einer nicht genauer definierten Vergleichsperiode.
  • Die durchschnittliche Rate von Kündigungen seitens der Mitarbeiter sank von 2 pro 100 Mitarbeiter auf 0,8 gegenüber einer nicht genauer definierten Vergleichsperiode.
  • Die Abwesenheitsrate (Krankheit und andere Faktoren) sank von im Durchschnitt von 2 auf 0,7 Tage pro Mitarbeiter und Monat gegenüber einer nicht genauer definierten Vergleichsperiode.
  • Die teilnehmenden Mitarbeiter berichten von einem abnehmenden Stress-Level (von im Mittel 3,07 auf 2,74 auf einer Skala von 1 bis 5), einer Abnahme von Erschöpfungssymptomen (Müdigkeit, Frustration u.ä.), gestiegener Zufriedenheit mit der Arbeit (von im Mittel 7,12 auf 7,69 auf einer Skala von 0 bis 10) und reduzierten Konflikten zwischen Arbeit und Familienleben.
  • 90% der an der Befragung teilnehmenden Mitarbeiter möchten ihre veränderte Arbeitszeit beibehalten, sogar 96% bevorzugen eine Vier- gegenüber einer Fünf-Tage-Woche.

Offene Fragen

Einige Fragen bleiben für mich aber auch offen:

  • Es wird nicht ganz klar, ob die Arbeitszeiten der Mitarbeiter, wie in der Kurzzusammen­fas­sung der Studie postuliert wird, wirklich auf 80% reduziert wurden. In der Studie heißt es, dass man den beteiligten Unternehmen die Freiheit lassen wollte, die Form der Arbeits­zeit­re­du­zierung selbst zu wählen (sehr sinnvoll!). Bedingung war lediglich, dass die Arbeitszeit­re­du­zie­rung bedeutsam (im Original: „meaningful“) sein musste. Ob also z.B. der frei Tag zumindest zum Teil durch verlängerte Arbeitszeiten an anderen Tagen „erkauft“ wurde, ist nicht wirklich klar, wäre aber für Rückschlüsse auf die Funktionsweise und Wirksamkeit der Idee der Vier-Tage-Woche durchaus relevant. Tatsächlich zeigt sich später im Text der Studie, dass laut Befragung der Mitarbeiter ihre Wochenarbeitszeit im Durchschnitt von 38 auf 34 Stunden gesunken sei, eine Reduktion um ca. 10,5%.
  • Es ist aus den vorliegenden Texten nicht nachvollziehbar, wie die Vergleichsperioden definiert wurden, die für den Vergleich von Umsatzzuwachs, Kündigungen und Abwesenheitsrate herangezogen wurden. Auch wird nicht klar, warum für einen Teil der Unternehmen der Umsatzzuwachs im Vergleich zum Beginn der Studie und für einen anderen Teil im Vergleich zu einer solchen Vergleichsperiode ermittelt wird.
  • Das Konzept der hier verwendeten Abwesenheitsrate („absenteeism, measured as sick and personal days“) bleibt unklar. Offensichtlich ist wegen des Zusatzes „and personal days“, dass hier nicht nur Krankheitstage gezählt werden. Was – neben Krankheit – hier hineinfällt und als „personal days“ bezeichnet wird, ist nicht zu erkennen.

Ein zunächst irritierender Widerspruch zu den großen Schlagzeilen zur Studie ist, dass laut Befragung der Mitarbeiter die tatsächliche Anzahl gearbeiteter Arbeitstage pro Woche im Verlauf des Experiments von 4,86 auf 4,52 gesunken ist. Damit wären die beteiligten Mitarbeiter im Mittel dann doch noch recht weit weg von einer wirklichen Vier-Tage-Woche und noch weiter von einer 20%igen Reduzierung ihrer Arbeitszeit bei vollem Entgeltausgleich. Immerhin 15% der befragten Mitarbeiter sagten, dass sie tatsächlich insgesamt länger arbeiten würden als zuvor.

Was können wir aus der Studie lernen?

Gerade weil so viel über die Studie publiziert wurde und manches davon sich nicht ganz mit den wirklichen Ergebnissen der Studie deckt, müssen wir, bevor wir die richtigen Schlussfolgerungen aus ihr ziehen, zunächst noch einmal zwei Punkte festhalten, die sich nicht aus der Studie ableiten lassen:

  • Die Studie weist nicht nach, dass die Vier-Tage-Woche zu wachsendem Umsatz führt. 1,4% Umsatz mehr am Ende einer Sechs-Monats-Periode ist nicht viel, erst recht nicht in Zeiten relativ hoher Inflation. 34,5% mehr als in einer Vergleichsperiode klingt sehr viel, wir wissen aber leider nicht, wie diese Vergleichsperiode ermittelt wurde und wie vergleichbar sie jeweils war. Zudem ließe sich eine solche Aussage nur erhärten, wenn parallel die Umsätze von Unternehmen verfolgt würden, die an einer Fünf-Tage-Woche festgehalten haben.
  • Die Studie weist nicht nach, dass die Vier-Tage-Woche zu erhöhter Produktivität führt. Der Gedanke liegt zwar nahe und ich möchte ihm auch grundsätzlich nicht widersprechen. Es ist nur so, dass die Studie keine Auskunft über die Entwicklung der Produktivität liefert, weil Produktivität der Arbeitszeit hier nicht systematisch untersucht wurde.
  • Es ist noch offen, ob die für die Unternehmen insgesamt positiven Ergebnisse des Pilotprojekts auch auf lange Sicht fortbestehen werden. Im Bericht zur Studie wird davon gesprochen, dass die Unternehmen teilweise mit ihren Mitarbeitern haben, dass bestimmte Produktivitätsfortschritte erreicht werden müssen, um die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich möglich zu machen. Das attraktive Ziel des zusätzlichen freien Tages hat hierbei offenbar genügend Energien freigesetzt, um die Verbesserungen möglich zu machen. Interessant zu sehen wird sein, ob solche Fortschritte auch langfristig durchgehalten werden und wie sich dies für neue Mitarbeiter darstellt, die von vorneherein auf Basis einer Vier-Tage-Woche eingestellt werden.

Und wir sollten uns auch klar machen, dass eine solche Studie mit 61 Unternehmen und ca. 2.900 Mitarbeitern schon grundsätzlich zu klein angelegt ist, um repräsentative Aussagen liefern zu können. Zumal die Teilnehmer an der Studie nicht zufällig ausgewählt sind, sondern aus Unternehmen bestehen, die sich für dieses Thema interessiert haben, also ziemlich sicher überdurchschnittlich gute Voraussetzungen für die Umsetzung einer Vier-Tage-Woche bieten.

Dennoch sind solche Studien aus meiner Sicht wertvoll, weil dort überhaupt einmal eine empirische Auseinandersetzung mit alternativen Varianten zur klassischen Fünf-Tage-Woche stattfindet und Daten dazu gesammelt sowie ausgewertet werden. Folgende Ergebnisse halte ich – auch auf Basis unserer ebenfalls nicht repräsentativen Erfahrungswerte aus sehr vielen Projekten zum Thema Arbeitszeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch aufgrund von vorliegenden Untersuchungen wie z.B. den Arbeitszeitreports der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – für plausibel und mit guter Wahrscheinlichkeit auch auf andere Organisationen übertragbar:

  • Sehr viele Mitarbeiter finden die Möglichkeit reduzierter Arbeitszeiten sehr attraktiv und das insbesondere dann, wenn sie mit einer reduzierten Anzahl von Arbeitstagen im Durchschnitt pro Woche einhergehen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels lohnt es sich also für viele Unternehmen darüber nachzudenken, wie sie sich durch neue Arbeitszeitmodelle attraktiv machen können für qualifizierte Mitarbeiter. Potentielle Benefits für die Unternehmen sind eine Reduzierung der ungewollten Fluktuation, reduzierte Recruiting-Kosten und eine Vermeidung von Umsatzverlusten aufgrund von unbesetzten Stellen.
  • Es ist anzunehmen, dass mit einer geringeren Arbeitsbelastung durch reduzierte Arbeitszeit und mehr freie Tage die Krankheitsquote sinken wird. Aus den britischen Studienergebnissen quantitative Rückschlüsse darauf zu ziehen, halte ich für nicht möglich, zumal sich solche Effekte vor allem langfristig bewähren müssen.
  • Die Studie liefert zusätzliche Anhaltspunkte für positive Wirkungen verkürzter Arbeitszeiten, die ich auch vorher schon für plausibel gehalten habe:
    • Es ist einfacher, über eine kürzere Arbeitszeit eine höhere Produktivität aufrechtzuerhalten als über den Zeitraum einer klassischen Vollzeitbeschäftigung
    • Die subjektive Wahrnehmung der Mitarbeiter zur Arbeitsbelastung und damit einhergehenden Belastungen und Konflikten wird sich mit verringerter Arbeitszeit verbessern, damit auch die Arbeitszufriedenheit
    • Damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter bei einem Unternehmen mit verkürzter Arbeitszeit länger bleiben werden und nicht aktiv nach einem attraktiveren Arbeitgeber suchen

Interessant ist auch, was wir in der Studie darüber lesen, wie die teilnehmenden Unternehmen versuchen, trotz verringerter Arbeitszeiten das vorhandene Leistungsniveau aufrechtzuerhalten. Die Mehrheit der Unternehmen hat Programme zur Erhöhung der Produktivität gestartet. Inhaltlich ging es dabei um Themen wie effizientere Meetings, Reduzierung der Anzahl verschickter E-Mails, Umsetzung von Maßnahmen der Prozessoptimierung, vermehrte Automatisierung von Aufgaben und Verbesserung der internen Zusammenarbeit. Alles gute und relevante Ansatzpunkte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob solche Optimierungspotentiale – wenn sie denn vorhanden sind – nicht auch ohne die Einführung einer Vier-Tage-Woche gehoben werden könnten oder sollten. Offenbar haben die Unternehmen die Vier-Tage-Woche in diesem Zusammenhang auch als Anreizinstrument gesehen, um die Mitarbeiter zur Identifizierung und Umsetzung solcher Maßnahmen zu motivieren.

Fazit: Was nehmen wir mit?

Wir sollten uns vor der überbordenden Euphorie hüten, die in manchem Presseartikel über die Chancen und Möglichkeiten der Vier-Tage-Woche verbreitet werden. Bei erstem Lesen dieser Berichte konnte man die Überzeugung gewinnen, dass wir problemlos alle 20% weniger Arbeitszeit aufbringen könnten, ohne dadurch auch nur den geringsten Verlust bei den Arbeitsergebnissen zu erleiden. Was ja nichts anderes bedeutet als: Alle Arbeitnehmer könnten problemlos 25% mehr Output pro Arbeitsstunde generieren, wenn sie nur kürzere Arbeitszeiten hätten. Es mag Geschäftsmodelle geben, in denen das möglich ist. Für das typische Unternehmen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gilt das sicher nicht. Und am allerwenigsten für ein produzierendes Unternehmen in einem dieser (im internationalen Vergleich) Hochlohnländer, das sich seit mindestens 20 Jahren permanent optimieren muss, um im harten internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben.

Es ist sicher kein Zufall, dass sich an der aktuellen britischen Studie nur sehr wenige produzierende Unternehmen beteiligt haben. Es wird in der Regel nicht möglich sein, in einem produzierenden Betrieb in vier Tagen und unveränderter täglicher Betriebszeit die gleichen Mengen zu produzieren wie zuvor an fünf Tagen. Dann lässt sich die Vier-Tage-Woche für die Beschäftigten nur dadurch realisieren, dass pro Tag weniger Mitarbeiter anwesend sind. Und das führt in einer Produktion meistens zu Problemen oder verringertem täglichen Output. Oder es müssten proportional zur Arbeitszeitverkürzung mehr Mitarbeiter beschäftigt werden mit entsprechend erhöhten Personalkosten.

Es gibt sehr wohl interessante Aspekte, die für die Idee einer Arbeitszeitverkürzung (ob als Vier-Tage-Woche oder in anderer Form) sprechen – man muss nur im Einzelfall sehr genau abwägen, welche Form der Arbeitszeitverkürzung im eigenen Kontext die besten Potentiale bietet und wie viel Entgeltkompensation tatsächlich wirtschaftlich vertretbar sein wird. Dass dabei in der Mehrheit der Fälle herauskommt, dass man sich 20% Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgeltausgleich leisten kann, bezweifle ich allerdings.

Was können oder sollen wir nun konkret für Überlegungen zur Umsetzung einer Arbeitszeitverkürzung (oder noch allgemeiner: Zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität über innovative Arbeitszeitmodelle) im eigenen Unternehmen anstellen? Auch das ist nicht in ganz wenigen Sätzen zu beantworten und soll deshalb Thema unseres nächsten Newsletters sein.

[1] https://www.zeit.de/arbeit/2023-02/vier-tage-woche-produktivitaet-pilotprojekt, abgerufen am 23.2.23

[2] The results are in: The UK’s four-day-week pilot, 4 day week global, February 2023

[3] Mit dem zur sprachlichen Vereinfachung verwendeten Begriff „Mitarbeiter“ sind Personen jeglichen Geschlechts gemeint.

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