So bewahren Sie Ihren Betriebsfrieden zuverlässig – 1. Tipp: Setzen Sie schädliche informelle Regeln der Arbeitszeitgestaltung außer Kraft
Vor kurzem habe ich einen Artikel veröffentlicht: So zerstören Sie Ihren Betriebsfrieden zuverlässig – 10 Tipps zur Arbeitszeitgestaltung. In diesem Artikel hatte ich sarkastisch 10 Punkte beschrieben, wie man durch falsche Arbeitszeitgestaltung Mitarbeiter maximal demotivieren kann. Die überwältigende Resonanz von mittlerweile über 55.000 Lesern hat mir gezeigt, dass diese „Tipps“ leider nach wie vor in vielen Unternehmen beherzigt werden.
Daher möchte ich nun in den nächsten Blog-Beiträgen aufzeigen, wie man es konkret machen kann. Zuerst möchte ich zu den ersten beiden „Tipps“ aus meinem Artikel Stellung nehmen:
- Seien Sie ein Vorbild: Nur wer lang arbeitet kann Karriere machen
Kommen Sie als erster und gehen Sie als letzter. So haben Sie immer im Blick, ob Ihre Mitarbeiter auch lange genug am Arbeitsplatz sind. Sollte es Ihnen mal nicht möglich sein, sollten Sie um 19 Uhr einen Kontrollanruf auf der Festnetznummer machen. Zusätzlicher motivatorischer Effekt: Sollte der Mitarbeiter nichts mehr zu tun haben, langweilt er sich während des Telefonats nicht mehr und er hat das Gefühl, dass Sie sich um ihn kümmern. Für alle Fälle können Sie dann noch einen Arbeitsauftrag bis zum nächsten Tag geben. Seien Sie kreativ, Ihnen fällt bestimmt etwas ein!
- Kommunizieren Sie mit Mitarbeitern
Fragen Sie jeden, der um 17 Uhr nach Hause geht, ob er einen halben Tag Urlaub beantragt hat. Ermuntern Sie auch Ihre Mitarbeiter, diese Frage zu stellen. Dieser kleine Scherz kommt immer gut an und Humor ist gut fürs Betriebsklima!
Die Arbeitszeitkultur wird sowohl durch formelle als auch informelle Regelungen definiert. Oft werden die formellen Regelungen sogar durch die informellen ausgehebelt. Die ersten beiden „Tipps“ haben etwas mit informellen Regelungen zu tun. Beide Punkte haben dieselbe Ursache: nämlich die Annahme, dass lange Arbeitszeiten gut für das Unternehmen sind.
Doch woher kommt die Annahme? Sie ist ein Relikt aus der Wirtschaftswunderzeit, in der die Auftragsbücher voll waren und es kaum Auftragsschwankungen gab. In einem derartigen Umfeld erscheint jede Stunde, die der Mitarbeiter mehr leistet, gut für das Unternehmen. Daher waren Mitarbeiter, die viele Stunden gearbeitet haben, auf den ersten Blick auch besonders wertvoll für das Unternehmen.
Aus dieser Logik heraus ist das heute noch vorhandene Anreizsystem für Mehrarbeit entstanden, das letztendlich nichts anderes als die Honorierung von Zeitverbrauch darstellt. Erhalten Mitarbeiter zusätzlich noch Anerkennung vom Chef für lange Arbeitszeiten und werden diese auch noch von ihm vorgelebt, führt dies zwangsläufig zu Mehrarbeit und einem Wettbewerb der Mitarbeiter, wer mehr arbeitet.
Aus Unternehmenssicht ist der Nutzen aber nicht mehr gewährleistet. Zum einen gibt es heutzutage viel mehr Schwankungen in der Arbeitslast, so dass es durchaus sinnvoll sein kann auch (ohne schlechtes Gewissen) früher nach Hause zu gehen. Bleibt man dennoch da, um der „Unternehmenskultur“ zur huldigen oder dem Chef zu gefallen, ist das entweder für den Mitarbeiter frustrierend oder für das Unternehmen teuer, wenn diese Stunde auch noch bezahlt wird, oder sogar beides.
In 2016 machten 59% aller Beschäftigten Überstunden. Im Durchschnitt fielen dabei 4,07 Überstunden pro Woche an (Quelle: Arbeitszeitmonitor 2017 von Compensation Partner). In Summe fielen lt. IAB-Kurzbericht 6/2016 in 2015 816 Millionen bezahlte und 997 Millionen unbezahlte Überstunden an.
In Zeiten zunehmender Arbeit am Wochenende und in der Nacht sollte man jede Möglichkeit zur Entlastung nutzen und hinterfragen, inwieweit die Überstunden tatsächlich benötigt werden und ob Sie überhaupt produktiv sind.
Gerade in einer Gesellschaft mit stetig zunehmenden Burnout-Diagnosen und einem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Work-Life-Balance ist das Bild vom lange arbeitenden Mitarbeiter antiquiert. Für Unternehmen und auch die Work-Life-Balance sind flexible Mitarbeiter mittlerweile wertvoller als Mitarbeiter, die lange da sind, unabhängig davon, ob man sie benötigt.
Was ist also zu tun?
Betriebe sollten heute sehr gut Ihren betrieblichen Bedarf kennen und diesen an die Mitarbeiter vermitteln. Wenn allen klar ist, dass wenig zu tun ist, gibt es auch keinen Grund, ein früheres Heimgehen zu verurteilen. Als Chef kann man da auch mal mit gutem Beispiel vorangehen!
In kreativen oder komplexen Tätigkeiten und dort, wo extreme Genauigkeit in der Arbeit gefragt ist und Fehler gefährliche Folgen haben können, ist kaum zu erwarten, dass nach der achten oder neunten Arbeitsstunde eines Tages noch gute Ergebnisse entstehen. Und für einen effizienten Umgang mit Auslastungsschwankungen ist es sogar erforderlich, in Phasen geringerer Arbeitslast kürzer zu arbeiten, damit die so eingesparten Zeitressourcen in Spitzenlastphasen genutzt werden können. Es ist also höchste Zeit das Leitbild des fleißigen Mitarbeiters, der sich durch besonders langes Ausharren am Arbeitsplatz auszeichnet, zu ersetzen durch ein neues Leitbild, in dem es um besonders sparsamen Umgang mit der wertvollen Ressource Arbeitszeit geht. In einer Organisation, in der permanente Überstunden als Beweis für Engagement und Fleiß gelten, bedeutet dies eine tiefgehende Veränderung häufig unausgesprochener Normen und Werte.
Autor: Guido Zander
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