HR, mach ma digital! – 10 Tipps wie man die Digitalisierung garantiert versemmelt (am Beispiel der Software-Auswahl)
Aktuell beschäftigen sich viele Firmen und Bereiche mit der Digitalisierung, auch HR auf Sinnsuche, sucht das Heil im Digitalen. Insbesondere bei den Themen Arbeitszeit und Personaleinsatzplanung besteht Handlungsbedarf, da der Druck, flexibler zu werden – sowohl für Unternehmen als auch Mitarbeiter – immer mehr zunimmt. Und die einfachste Lösung des Problems ist wie bereits seit Jahrzehnten: Kaufen wir eine Software. Das ist typisch für die „digitalen“ Irrwege. Man sucht eine schnelle Lösung bevor man das Problem verstanden hat. Aber selbst danach, bei der Softwareauswahl, stellen die meisten sicher, dass sie scheitern.
Wenn man teilweise verfolgt, wie Software ausgewählt wird, könnte man meinen, manche Unternehmen wollen gar keine gute und vor allem passende Software finden. Falls dies bei Ihnen ebenfalls so ist und sie am Ende gar nicht wirklich dieses Digitalisierungsding wollen, hier beispielhaft ein paar Tipps vom Experten, damit die Softwareauswahl garantiert in die Hose geht. Übrigens: Diese Tipps funktionieren für jeden Softwaretyp, nicht nur HR Software.
1. Denken Sie nicht über Prozesse oder Arbeitszeitmodelle nach
Sie wollen flexibel werden? Dann kaufen Sie eine Software zur Personaleinsatzplanung. Denken Sie aber nicht zu viel über Arbeitszeitmodelle oder Prozesse nach. Egal ob Sie den Plan manuell erstellen wollen, die Mitarbeiter sich selbst organisiert verplanen sollen oder Sie die Software einen optimierten Plan errechnet, der Bedarfe deckt und möglichst viele in der App erfasste Mitarbeiterwünsche erfüllt. Die Software wird das schon können. Bedarfsermittlung? Kann doch auch bestimmt jeder. Am besten diskutieren Sie dann die Anforderungen bei der Einführung mit Betriebsrat und dem IT-Berater des Herstellers. Schließlich ist es bereits Standard, dass weder der Terminplan noch das Budget eingehalten werden und da wollen Sie ja nicht aus der Reihe tanzen.
Die Softwareeinführung ist auch der perfekte Zeitpunkt, um festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit gar keine flexible Planung ermöglicht. Super ist es, wenn man dann eine Software mit (eingeschränkt) fixem Leistungsumfang hat. Dann muss man nicht so viel nachdenken und kann die neue Betriebsvereinbarung nach den Möglichkeiten der Software gestalten.
2. Schreiben Sie kein Lastenheft! Seien Sie agil!
Ein Lastenheft oder Pflichtenheft ist echt lästig (Was ist eigentlich der Unterschied?!?). Wo kommen wir denn hin, wenn man sich vorher überlegen muss, was man will und dann muss man das auch noch aufschreiben? Soviel Zeit hat doch keiner, schließlich soll die Software ja in 2 Monaten im Echtbetrieb sein.
3. Nehmen Sie das Lastenhefttemplate eines Anbieters
Falls Sie Tipp 2 nicht beherzigen wollen, geht es mit maximal wenig Aufwand. Es gibt Hersteller, die sind soo serviceorientiert, dass Sie Ihnen ein Standardlastenheft kostenfrei!!!! überlassen. Und oh Wunder: die können dann auch noch alles, was da drin steht! Also bei so viel Service und Funktionalität kann man doch nichts falsch machen. Und das Gute ist, man braucht dann nur noch zwei bis drei Alternativangebote einholen und kommt ganz schnell zum Ziel!
Noch besser ist es, wenn man das Dokument bei einer öffentlichen Ausschreibung verwendet und beim Lastenheft noch der Hersteller als Autor drinsteht. Falls man dann gekauft hat und feststellt, dass doch nicht alles so funktioniert, kann ein anderer Hersteller die Ausschreibung anfechten und man kommt aus dem Vertrag raus! Gewusst wie 😉
4. Ignorieren Sie Marktstandards (oder Leute, die den Markt kennen)
Falls Sie beratungsresistent sind und Tipp 2 und 3 ignorieren und doch ein Lastenheft erstellen wollen, dann sollten Sie es wenigsten richtig machen. Gehen Sie durch jede Abteilung und fragen Sie, wie heute geplant wird und was man sich alles wünscht. Auf diese Weise bekommen Sie maximale Vielfalt in die Anforderungen. Vermeiden Sie die Prozesse zu vereinheitlichen oder zu optimieren, ein wirklich gutes System kann das alles im Standard! Und wenn nicht, dann wird durch den Hersteller bestimmt alles entwickelt und Sie finanzieren dann dessen neues Release, damit sein Produkt auch für die anderen Kunden noch leistungsfähiger wird. Damit zeigen Sie auch, dass Sie als Unternehmen sozial eingestellt sind. Vermeiden Sie auch, externes Know-how mit Fach- und Marktkenntnis in das Projekt einzubinden, das sind sowieso alles Halsabschneider und machen das Projekt nur unnötig teuer.
5. Erstellen Sie keine Bewertungssystematik
Erstellen sie keine Bewertungssystematik oder noch besser: Erstellen sie diese erst nachdem Sie die Herstellerpräsentationen gesehen haben. Auf diese Weise können Sie die Anforderungen, die Ihr Favorit aus der Präsentation am besten kann, am höchsten priorisieren. Wo kämen wir denn hin, wenn das am besten für Ihre Anforderungen passende System gewinnt und nicht das System das Ihnen am besten gefällt! Bleiben Sie standhaft: lassen Sie sich von keinem Kriterienkatalog diktieren, welches System Sie gut finden!
6. Laden Sie jeden Hersteller ein, der behauptet eine Personaleinsatzplanung zu haben
Googeln Sie nach Software zur Personaleinsatzplanung und laden Sie jeden Hersteller zum Angebot ein, der irgendwas mit PEP auf der Website hat. Ignorieren Sie, dass zwischen einer einfachen Personaleinsatzplanung und einem umfassenden Workforce Managementsystem (Bedarfsermittlung, optimierte Einsatzplanung, Zeitwirtschaft, Controlling) Welten liegen.
Apropos Zeitwirtschaft. Kaufen Sie für Zeitwirtschaft und Personaleinsatzplanung zwingend getrennte Systeme! Schließlich ist eine Personaleinsatzplanung für den Fachbereich und Zeitwirtschaft für die HR-Abteilung. Sie wollen doch nicht wirklich dasselbe System benutzen, oder? Die umfangreichen (bidirektionalen Online-) Schnittstellenbeziehungen zwischen Personaleinsatzplanung und Zeitwirtschaft (Zeitkonten, Tagesprogramme, Fehlgründe) sollten sie ignorieren. Wichtiger ist, dass die Zeitwirtschaft und das Lohnsystem integriert sind, hier müssen schließlich einmal im Monat ein paar Zuschläge und Fehlzeiten übergeben werden!
7. Geben Sie kein Drehbuch vor
Endlich ist es soweit. Die Hersteller präsentieren ihre Systeme bei Ihnen. Machen Sie diesen keinerlei Vorgaben, was Sie sehen wollen. Lassen Sie sich überraschen. Nur so können Sie alles sehen, was der einzelne Hersteller wirklich gut kann, unabhängig davon was sie aktuell brauchen. Man weiß ja nie, was noch kommt. Die totale Überraschung ist es, wenn Sie kein Lastenheft haben. Dann können Sie sich auch noch inspirieren lassen. Auf diese Weise können Sie die Präsentationen auch nicht vergleichen und können dann völlig frei entscheiden (siehe folgender Punkt)
8. Entscheiden Sie aus dem Bauch heraus
Jetzt kommt der Moment, wo sie dankbar sein werden, wenn Sie (noch) keine Bewertungssystematik haben. Schließlich zählt sowieso der erste Eindruck. Welches System hat am schönsten ausgesehen? Welches Vertriebsteam war am sympathischsten? Was ist am billigsten? Dieses Produkt sollten Sie nehmen. Falls die Entscheidung revisionssicher sein soll, ist es jetzt an der Zeit, eine Bewertungssystematik mit den Kriterien zu erstellen, die Ihr Favorit am besten konnte. Bewerten Sie dann die Systeme und lassen Sie sich für Ihr Bauchgefühl feiern, dass das aus Ihrer Sicht beste System doch tatsächlich am meisten Punkte bekommen hat!
9. Machen Sie keinen Pilotbetrieb
Kaufen Sie das System sofort in der ersten Euphorie. Schließlich wollen Sie keine Zeit verschwenden. Auch das zeigt Entscheidungsstärke und Pilotbetriebe sind was für Weicheier, die den Softwareauswahlprozess so luschig durchgezogen haben, dass sie sich danach zu wenig sicher fühlen, um eine finale Entscheidung zu treffen. Verzichten Sie auch auf ein Rücktrittsrecht. Das erhöht den Druck für eine erfolgreiche Einführung ungemein! Und egal wie die Einführung läuft: Sie wird dann auch ein Erfolg sein (zumindest solange Sie im Unternehmen sind und es so darstellen können).
10. Beschränken Sie die Umsetzung auf die Softwareeinführung
Changemanagement? Auch das ist für Warmduscher. Schließlich geht es ja nur um eine Softwareeinführung. Schulen Sie nur die User (aber nicht zu üppig, es gibt ja auch Handbücher!), die restlichen Mitarbeiter und Führungskräfte werden dann schon nach und nach merken was sich alles ändert. Man muss ja die Pferde nicht schon vorher scheu machen!
Autor: Guido Zander ist Geschäftsführender Partner bei SSZ, der führenden unabhängigen Unternehmensberatung für Arbeitszeit, Personaleinsatzplanung und Workforce Management. In vielen Beratungsprojekten berät SSZ die Unternehmen auch bei der Softwareauswahl.
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