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Diskussionsgrundlage für eine Arbeitszeitregulierung für modernes Arbeiten

Aktuell gibt es große Diskussionen um den Gesetzentwurf von Hubertus Heil zur Regelung von Mobile Work und einem Anspruch auf Homeoffice, gegen den wir uns als SSZ klar positioniert haben. Daraufhin wurde uns und anderen Gegnern vorgeworfen, reflexhaft auf Basis alter Ideologien gegen eine sinnvolle Veränderung zu sein. An dieser Stelle möchten wir klarstellen, dass wir uneingeschränkter Befürworter von Homeoffice-Lösungen sind. Bei SSZ sind wir seit 2004 ausschließlich (also 100%) über Homeoffice organisiert.

Wogegen wir aber sind, sind einzelne, unausgegorene gesetzliche Maßnahmen, die insgesamt wenig nutzen und mehr Bürokratie bringen. Unserer Meinung nach braucht es einen viel größeren Regulierungsrahmen als ein einzelnes Gesetz, um dem Thema „modernes Arbeiten“ gerecht zu werden. So bedarf z.B. das in die Jahre gekommene Arbeitszeitgesetz durchaus auch einiger Modifikationen. Insgesamt brauchen wir also keine Einzelgesetze zu Homeoffice und punktuelle Anpassungen vorhandener Gesetze, sondern müssen erst einmal ein vollständiges Zielbild für modernes Arbeiten entwickeln, um dann, soweit erforderlich, gesetzliche Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dies soll hiermit aus dem Blickwinkel der Arbeitszeitgestaltung erfolgen.

Im Folgenden möchten wir darstellen, wie ein derart gesamtheitlich gedachter Ansatz aussehen könnte. Wir sind keine Juristen und erheben auch nicht den Anspruch, an alles gedacht zu haben. Verstehen Sie diesen Vorstoß daher als Basis, um in eine weiterführende Diskussion einzusteigen.

Die heutigen Rahmenbedingungen für die Gestaltung von Arbeitszeit werden aus einer Vielzahl von Gesetzen und Regelungen definiert

In diesen Gesetzen wird eine Vielzahl von Dingen geregelt und reguliert. Die folgende Aufzählung hat nicht den Anspruch vollständig zu sein und aus den genannten Regelungen werden auch nur die für unser aktuelles Anliegen aus unserer Sicht benötigten Passagen und Paragraphen erwähnt. Wer mit den Inhalten dieser Gesetze vertraut ist, kann gerne zum nächsten Punkt „Warum die heutige Realität nicht mehr zu diesen Regelungen passt“ springen.

1. Arbeitszeitgesetz

Den größten Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitszeit hat sicherlich das Arbeitszeitgesetz. Die wichtigsten Regelungen hier sind:

  • Die Dauer eines Arbeitstages darf maximal 10 Stunden betragen, innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten darf die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit aber nicht länger als 8 Stunden sein (auf Basis einer 6-Tage-Woche). D.h. im Extremfall könnte die wöchentliche Arbeitszeit 60 Stunden umfassen, solange durch Minderarbeit in den Folgewochen sichergestellt ist, dass innerhalb von 6 Monaten die Wochenarbeitszeit durchschnittlich höchstens 48 Stunden umfasst.
  • Zwischen der Endezeit eines Arbeitstages und dem Beginn der Arbeit am Folgetag müssen mindesten 11 Stunden Ruhezeit liegen (mit spezifischen Ausnahmen für einige Sonderfälle)

Die Kernparameter dieses Gesetzes (8 bzw. 10 Stunden pro Tag, 11 Stunden Ruhezeit) gehen auf eine Arbeitszeitverordnung aus dem Jahre 1924 zurück, das Arbeitszeitgesetz in der heutigen Form gibt es seit 1997. Wenn man bedenkt welche gravierenden gesellschaftlichen Umwälzungen es seit 1997 gegeben hat, verwundert es nicht, dass das Gesetz nicht mehr den aktuellen Anforderungen gerecht wird – und zwar sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitig.

2. Teilzeit und Befristungsgesetz

  • §8 TzBfrG haben alle Beschäftigte einen Anspruch auf Teilzeit, sofern sie länger als 6 Monate im Unternehmen arbeiten und der Arbeitgeber mehr als 15 Mitarbeiter hat. D.h. allerdings nicht, dass ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine ganz bestimmte Form der Teilzeit hat, also kann man z.B. nicht auf eine bestimmte Stundenzahl, bestimmte Arbeitszeiten oder Arbeitstage bestehen.
  • §12 TzBgG muss eine Arbeitszeit bei Mitarbeitern auf Abruf mindestens 4 Werktage vorher angekündigt werden. Manche Juristen leiten daraus wiederum den Anspruch ab, dass die Arbeitszeiten aller Beschäftigten mit dieser Frist anzukündigen sind.
  • Bei Arbeit auf Abruf (§12) ist es möglich, dass der Arbeitgeber mit den Beschäftigten ein abzurufendes wöchentliches Stundenkontingent vereinbart. Je Abruf müssen mindestens 3 Stunden am Stück abgerufen werden. Wird eine Maximalstundenzahl vereinbart, darf nur max. 20% von dieser Zahl nach unten abgewichen werden, wird eine Minimalstundenzahl vereinbart, darf maximal 25% mehr Arbeitszeit pro Woche abgerufen werden. Die Arbeitszeit muss maximal 4 Werktage vorher angekündigt werden.

3. EuGH-Urteil zur Zeiterfassung

Der EuGH hat geurteilt, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System einzurichten, mit dem die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer gemessen werden kann. In der Folge wird es auch in Deutschland eine Regelung geben müssen, die zu einer vollständigen Erfassung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer führt. Gemäß dem Urteil können in der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten und Größe der Unternehmen berücksichtigt werden. Auch Ausnahmen können zulässig sein, „wenn die Dauer der Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der betreffenden Tätigkeit nicht gemessen und/oder vorgegeben wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann.“

4. Bürgerliches Gesetzbuch

Lt. §611a BGB hat der Arbeitgeber eine Weisungsbefugnis bzgl. des Ortes an dem die Arbeitsleistung erbracht werden muss. Dies ist deshalb erwähnenswert, da dies dem aktuellen Gesetzentwurf zum mobilen Arbeiten entgegensteht, bei dem ein Arbeitnehmer ein Recht auf Homeoffice bzw. Mobile Work reklamieren können soll.

5. Einkommensteuergesetz

Lt. §3 EKStG sind Zuschläge für folgende Arbeitszeiten bis zum jeweiligen Betrag steuerfrei (vereinfachte Darstellung):

  • für Nachtarbeit von 22 bis 0:00 Uhr und 4:00 bis 6:00 Uhr 25 Prozent,
  • für Nachtarbeit von 0:00 bis 4:00 Uhr 40 Prozent,
  • für Sonntagsarbeit 50 Prozent,
  • für Arbeit am 31. Dezember ab 14 Uhr und an den gesetzlichen Feiertagen 125 Prozent,
  • für Arbeit am 24. Dezember ab 14 Uhr, am 25. und 26. Dezember sowie am 1. Mai 150 Prozent
  • 9 ermöglicht es, dass Beschäftigte für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 0,30 Euro pro km für die ersten 20 km und danach 0,35 Euro (bzw. ab 2024 0,38 Euro) von der Steuer absetzen können.

6. Tarifverträge

In den unterschiedlichen Tarifverträgen gibt es noch eine Vielzahl von Konkretisierungen und weiteren Regeln, die hier nicht näher betrachtet werden sollen. Einzig die Tatsache, dass in diversen Tarifverträgen Nachtschichtzusatzurlaub vorgesehen ist, soll für die folgenden Ausführungen relevant sein. Damit ist gemeint, dass Beschäftigte für eine gewisse Anzahl von Nachtschichten einen zusätzlichen Tag Urlaub bekommen. Wieviel das ist, ist in den jeweiligen Tarifverträgen unterschiedlich ausgehandelt. Als Beispiel sei der TVöD genannt, hier bekommen Beschäftigte in Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie in Krankenhäusern je 150 geleistete Nachtstunden jeweils einen Tag Zusatzurlaub.

7. Gesetzentwurf „Mobiles Arbeiten“

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung heißt es: „Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dazu werden wir einen rechtlichen Rahmen schaffen. Zu diesem gehört auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung sowie Rechtssicherheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang mit privat genutzter Firmentechnik. Auch die Tarifpartner sollen Vereinbarungen zu mobiler Arbeit treffen.“

Der konkrete Gesetzentwurf sieht nun einen Anspruch auf mindestens 24 Homeoffice-Tage vor, sofern keine betrieblichen oder organisatorischen Gründe dagegensprechen.

Darüber hinaus gibt es natürlich das Jugendschutz-. Mutterschutz- und Kündigungsschutzgesetz sowie das Flexi II-Gesetz, die hier aber nicht näher beleuchtet werden.

 

Was ist mittlerweile Realität bzw. warum passen Regelungen nicht mehr

Sie fragen sich sicher, warum wir all diese Gesetze in aller Ausführlichkeit aufzählen. Nun, der erste Grund ist der, dass wir bewusst machen wollen, wie viele Regelungen es bereits gibt und dass all diese Einfluss darauf haben, wie wir Arbeitszeit gestalten und leben und dass sie alle miteinander zusammenhängen. D.h., wenn man modernes und mobiles Arbeiten regeln will, reicht es eben nicht, mal eben ein zusätzliches Gesetz zu verabschieden, sondern man muss alle anderen ebenfalls auf den Prüfstand stellen.

Der zweite Grund ist, dass ich im Folgenden darstellen möchte, an welchen Stellen all diese Regelungen modernem Arbeiten entgegenstehen bzw. wo es Auswüchse oder Regelungslücken gibt.

1. Work Life Blending nur bedingt möglich

Viele von uns haben es während der Corona-Krise zu schätzen gelernt, Arbeits- und Freiphasen frei zu gestalten. D.h.  zu arbeiten, zwischendrin einem Kind die Hausaufgaben erklären, die Wäsche anstellen, einkaufen, ggf. an der Kasse mit einem Kollegen telefonieren, immer vorausgesetzt, dies wird durch die betrieblichen Notwendigkeiten und Strukturen ermöglicht.

Aber auch vor Corona gab es diesen Wunsch nach Work Life Blending. In unserem Unternehmen SSZ sind wir z.B. seit 2004 zu 100% über Homeoffice organisiert. Solange wir nicht beim Kunden sind oder in Videokonferenzen eingebunden sind, kann jeder seine Zeit frei einteilen, solange die Arbeit erledigt wird und jeder innerhalb einer Stunde telefonisch erreichbar ist bzw. zurückruft. Als Partner machen wir z.B. Sport während der Arbeitszeit, bevor es im Winter dunkel wird, dafür arbeitet man  dann ggf. am Abend noch etwas weiter. Bei einem anderen Kollegen war die Frau krank und er hat sich am Tag um die Kinder gekümmert und dann am Abend und frühen Morgen die Aufgaben aus dem Job erledigt.

Und hier kommt es zu den ersten Einschränkungen aus dem Arbeitszeitgesetz. Als Selbständiger kann man es sich erlauben, für sich zu entscheiden, ob man bis 23 Uhr arbeitet, selbst wenn mN um 8 Uhr am Folgetag den nächsten Telefontermin hat. Wenn unsere (sehr selbstständigen) Mitarbeiter dies für sich so entscheiden und umsetzen würden, müssten wir es Ihnen verbieten, weil sie gegen die Ruhezeit verstießen.

Der nächste kritische Punkt wird hier die Umsetzung des EuGH-Urteils sein. Grundsätzlich verstehen wir die Notwendigkeit, Arbeitszeiten zu erfassen, um überprüfen zu können, ob geltende Gesetze eingehalten werden. Allerdings halten wir es für nicht machbar, einen Tagesablauf in der Form Arbeit – Einkaufen – Telefonat an der Kasse mit Kollegen – nach Hause fahren, dabei mit Kunden telefonieren – zuhause arbeiten, während des Wäscheaufhängens wieder mit einem Kollegen telefonieren etc. realitätsnah und ohne große Aufwände zu erfassen.

Grundsätzlich muss aber gelten, dass niemand zu einer solchen Arbeitsweise gezwungen werden darf. Diese Form der Arbeit muss durch die Mitarbeitenden freiwillig wählbar sein. Wenn jemand aber klar zwischen Beruf und Freizeit rennen will, muss dies möglich sein.

2. Eintägiger Einsatz Außendienstmitarbeitenden beim Kunden nur schwer möglich

Die aktuelle Rechtsprechung sieht vor, dass aktive Reisezeiten am Steuer eines Autos als Arbeitszeit zählen, die für die 10-Stunden-Grenze pro Tag relevant sind (sofern sich der Mitarbeiter nicht freiwillig für die Reise mit dem Auto entschieden hat),während passive Reisezeiten in Taxi, Bahn, Flugzeug nicht zählen.

Nehmen wir nun an, ein Außendienstmitarbeiter muss bei einem Kunden vor Ort 8 Stunden arbeiten und hat eine einfache Anreise mit dem Auto von 2 Stunden. Als Selbständiger hat man die Möglichkeit zu entscheiden, an einem Tag hin- und zurückzufahren, um am Abend bei seiner Familie zu sein. Als Arbeitnehmer muss man eine Übernachtung einkalkulieren, um nicht über die 10-Stunden-Grenze zu kommen. Was spräche dagegen, dass auch ein Angestellter diese Entscheidung so für sich treffen könnte?

Im Umkehrschluss gilt aber auch hier, dass ein Beschäftigter in dieser Situation nicht gezwungen werden darf, diesen Termin innerhalb eines Tages durchzuführen. Eine vom Arbeitgeber finanzierte Übernachtung muss ihm ggf. gewährt werden.

3. Anreizsystem für ungesunde Nachtarbeit

Die Arbeitswissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass Schicht- und insbesondere Nachtarbeit langfristig ungesund sind und ein erhöhtes Risiko von diversen Krankheitsbildern wie z.B. Herz-Kreislauferkrankungen nach sich ziehen.

Es ist auch nachvollziehbar, dass sowohl der Gesetzgeber als auch die Arbeitgeber Nachtarbeit attraktiv machen müssen, damit sich genug Beschäftigte finden, die zu diesen Uhrzeiten arbeiten. Heute bedeutet das: die Arbeitgeber gewähren Zuschläge und der Gesetzgeber ermöglicht deren Steuerfreiheit. Soweit so gut.

Mittlerweile hat sich dieses Anreizsystem allerdings ins Gegenteil verkehrt. Denn die üppigen Zulagen aus Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit haben dazu geführt, dass die Arbeitgeber nicht mehr die Notwendigkeit haben, einen attraktiven Grundlohn anzubieten, da man dem Mitarbeiter das Gesamtgehalt immer inklusive der Zuschläge vorrechnet. Dieses wiederum hat dazu geführt, dass die Beschäftigten auf die Zuschläge angewiesen sind, nicht selten sind sie in eine Hausfinanzierung eingerechnet.

Dies bewirkt, dass teilweise mögliche Reduktionen der Nachtarbeit von den Beschäftigten nicht akzeptiert werden, weil man den damit verbundenen Lohnverlust fürchtet. Letztendlich bedeutet dies, dass das gesamte System von einem Entschädigungssystem zu einem Anreizsystem für ungesundes Arbeiten wurde.

4. Anreizsystem für Zeitverbrauch

Ähnlich wie mit den Nachtschichtzuschlägen verhält es sich mit den Überstundenzuschlägen. Was einst gedacht war als Entschädigung für entgangene Freizeit wird mittlerweile mehr als Möglichkeit gesehen, den teilweise kargen Grundlohn aufzubessern. Nicht selten entstehen dadurch auch unproduktive Arbeitszeiten, weil es sich schlichtweg lohnt länger zu bleiben, auch wenn nichts zu tun ist. Andererseits gibt es sehr oft wenig Bereitschaft mal früher zu gehen, weil dann ggf. wertvolle Überstunden und die damit verbundenen Zahlungen verloren gehen. Zusammen mit anderen informellen Anreizsystemen (derjenige, der um 20 Uhr noch im Unternehmen ist, ist der Held, selbst wenn er seit 17 Uhr im Internet surft) führt das dazu, dass Beschäftigte oft länger im Unternehmen sind als notwendig ist und man Zeiten nicht nutzt, in welchen man zu Hause entspannen könnte.

In unseren Projekten propagieren wir seit längerem einen Paradigmenwechsel. Statt ungesunder Mehrarbeit wird Flexibilität honoriert, denn Teil der Flexibilität ist nicht nur die Mehr- sondern auch die Minderarbeit. Dieser Weg hat sich in der Praxis sehr bewährt und könnte auch politisch regulatorisch besser unterstützt werden.

5. Anreizsystem für Pendeln

Mit der Pendlerpauschale gibt es ein Anreizsystem, zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zu pendeln, obwohl es aus klima- und verkehrspolitischer Sicht besser wäre, dies eher sogar zu sanktionieren.

Eine Arbeit im Homeoffice wird dagegen nicht entsprechend gewürdigt, obwohl dadurch Verkehr und die damit verbundenen Emissionen sowie der Abfluss von Beschäftigten Richtung der Metropolen reduziert werden könnte.

6. Mangel an kurzfristiger Flexibilität

Bis zur Einführung der 4-tägigen Ankündigungsfrist durch die Arbeit auf Abruf gab es keinerlei gesetzliche Regulierung der Ankündigungsfrist von Arbeitszeiten. Seit diesem Gesetz vertreten nun viele Arbeitsrechtler die Auffassung, dass diese Ankündigungsfrist für alle Beschäftigten gilt.

Tatsächlich ist es irrwitzig, dass die gesetzliche Definition einer flexiblen Arbeitsform (Arbeit auf Abruf) letztendlich dazu geführt hat, dass alle unflexibler geworden sind. Dabei möchten wir nicht in Abrede stellen, dass Planungssicherheit für die Beschäftigten ein sehr hohes Gut ist. In jedem unserer Projekte versuchen wir, möglichst viel Planungssicherheit herzustellen. Andererseits sehen wir auch, dass es in sehr vielen Unternehmen Bedarf gibt, Arbeitszeiten auch in kürzerer Frist als vier Tage noch anzupassen. Diesen Bedarf an betrieblicher Flexibilität einfach zu ignorieren, führt zu einem Wildwuchs an Umgehungsversuchen, wir nennen das „Guerilla-Flexibilität“. Möglichkeiten zu einer geregelten, nach Umfang und Häufigkeit begrenzten Flexibilität führen zu deutlich besseren Ergebnissen für die Beschäftigten.

7. Vertrauensarbeitszeitsysteme funktionieren nur bedingt

Vertrauensarbeitszeit an sich ist erstrebenswert. Ein Blick auf die Unternehmen zeigt aber, dass diese Systeme heute nur bedingt funktionieren bzw. nicht gesetzkonform gelebt werden.

Nicht funktionierende Vertrauensarbeitszeitsysteme erkennt man daran, dass die Beschäftigten einen eigenen, detaillierten Zeitaufschrieb haben, weil sie das Gefühl haben, laufend unbezahlte Mehrarbeit zu leisten. Dies resultiert daher, dass viele Vertrauensarbeitszeitsysteme von Arbeitgebern mit der Zielsetzung eingeführt wurden, unbezahlte Mehrarbeit zu erhalten. Teilweise liegt es auch an Führungskräften, die nicht ausreichend in der Lage sind zu priorisieren und ihren Mitarbeitern deshalb laufend zusätzliche neue Aufgaben zukommen lassen.

Und dann gibt es die funktionierenden Systeme, die tatsächlich auf gegenseitigem Vertrauen basieren. Der Arbeitgeber vertraut darauf, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgaben erledigen und die gewünschten Ergebnisse liefern. Die Arbeitnehmer vertrauen darauf, dass der Arbeitgeber im Blick hat, wieviel er seinen Beschäftigten zumuten kann. In dieser Art von System spielt es letztendlich keine Rolle, ob ein Mitarbeiter an einem einzelnen Tag mal eine Stunde mehr oder weniger arbeitet, solange die Aufgaben erledigt werden und die Beschäftigten ihre Arbeitszeit sehr frei gestalten können. Diese Systeme gilt es zu fördern. Aber Stand heute wird in diesen Systemen die bereits heute geforderte Dokumentation der Arbeitszeit bei Überschreitung von acht Stunden pro Tag selten umgesetzt und die mögliche Verschärfung der Dokumentation der exakten Arbeitszeiten durch das EuGh-Urteil wird sehr skeptisch gesehen.

8. 8-Stunden-Wahn und 40-Stunden Woche

Nach wie vor haben viele Unternehmen die 40-Stunden-Woche ( 8 Stunden x 5 Tage), aber in vielen Fällen ist diese total unpassend. Gerade in Schichtbetrieben mit Vollkonti-Auslastung (7 Tage x 24 Stunden) führt dies zu Schichtplänen, die krank machen und sozial isolieren. Um klar zu machen, was wir meinen, möchten wir dies an einem sehr gängigen Schichtplan aufzeigen:

Stellen Sie sich folgendes vor: Siearbeiten immer 7 Tage am Stück, am Ende jedes Arbeitsblocks ist eine Nachtschicht, das bedeutet Sie arbeiten bis 6 Uhr des Folgetages, kommen dann nach Hause, legen sich ins Bett und quälen sich um 12 wieder aus dem Bett, damit Sie noch was von dem Tag haben. Am Abend gehen Sie früh ins Bett, weil sie total fertig sind. Am nächsten Tag haben Sie tatsächlich frei, da aber am Folgetag wieder Frühschicht ist, müssen Sie wieder früh ins Bett. Dann kommt der nächste 7-Tage-Arbeitsblock, danach das gleiche Spiel. Nach dem dritten 7-Tagesblock haben Sie nach dem Ausschlaftag endlich mal ein Wochenende frei. Wie reizvoll das ist, kann jeder für sich selbst beurteilen.

Es gibt aber viele Beschäftigte, die seit 20 Jahren und mehr in derartigen Systemen arbeiten (zugegeben freiwillig, sofern die Lebensumstände diese Freiwilligkeit zulassen). Die Konsequenz ist, dass die Krankenquote in diesen Unternehmen oft deutlich über 10% beträgt und in Mitarbeiterinterviews wurde uns von sozialer Isolierung (man wird gar nicht mehr eingeladen, weil man je eh nie Zeit hat) und von familiären Problemen berichtet. Dass es diese Systeme noch gibt, liegt auch daran, dass durch die steuerfreien Nachtzuschläge ein substanzielles Zusatzeinkommen möglich ist. Letztendlich wird aber die Gesundheit und das Sozialleben einer Verdienstmöglichkeit geopfert.

 

Zielsetzung für modernes Arbeiten:

Die Beispiele zeigen, dass wir es mit einem weiteren Gesetz für Mobile Work nicht schaffen werden, den wachsenden Ansprüchen an und veränderten Rahmenbedingungen für Arbeitszeitgestaltung Rechnung zu tragen, zumal es nur auf die Angestelltenbereiche zielt und die gewerblichen Bereiche außen vor lässt. Zudem gibt es die Chance, die angesprochenen und durch die bestehende Gesetzgebung verursachten Fehlentwicklungen zu korrigieren. Aber welche Ziele sollten nun durch eine neue Gesetzgebung verfolgt werden?

1. Förderung von Mobile Work / Homeoffice ohne Zwang

Es gibt aus Mitarbeiter-, Unternehmenssicht sowie aus klima- und verkehrspolitischen Erwägungen viele gute Gründe für Mobile Work bzw. Homeoffice. Gleichwohl sollte es weder für Unternehmen noch für Beschäftigte einen Zwang bzw. Rechtsanspruch dafür oder dagegen geben. Die Ausgestaltung der Regelungen sollte rein bei den betrieblichen Tarifpartnern liegen, da diese die Notwendigkeiten bzw. Möglichkeiten in den einzelnen Betrieben am besten kennen. Gerade auch bei der Umsetzung von Hybridmodellen (Kombination aus Präsenz und Mobile Work) sollte es keine regulatorischen Begrenzungen durch den Gesetzgeber geben. Eine bessere steuerliche Würdigung der Kosten für die Einrichtung eines häuslichen Arbeitsplatzes könnte hier ein gesetzlicher Beitrag sein.

2. Förderung von Flexibilität

Es sollte nicht mehr Mehrarbeit, sondern Flexibilität für Unternehmen und Mitarbeiter gefördert werden

3. Förderung von vertrauensbasiertem Arbeiten

Vertrauensbasierte Arbeitszeitsysteme sollten gefördert werden. Missbrauch auf beiden Seiten (Arbeitgeber: Erhalten von möglichst viel unbezahlter Mehrarbeit / Arbeitnehmer: Minderleistung) soll vermieden werden.

4. Ungesundes Arbeiten darf nicht mehr (monetär) attraktiv sein

Anreizsysteme für Nachtarbeit dürfen nicht mehr zu gesundheitsschädlichen Arbeitszeitsystem führen. Ungesundes Arbeiten soll nicht zu mehr Geld, sondern zu mehr Freizeit führen. Die Basis dafür sind ausreichend hohe Grundlöhne, die die Notwendigkeit von Zuschlägen reduzieren.

5. Freiwillige, durch Beschäftigte gewünschte Flexibilität darf nicht eingeschränkt werden

In der Zukunft muss Vertrauen einen höheren Stellenwert bekommen. Wer von mündigen, selbstständigen Mitarbeitern spricht, muss diesen auch zugestehen, dass sie nicht vor sich selbst geschützt werden müssen, sondern auch im Eigeninteresse gute Entscheidungen treffen können.

6. Mitarbeitende müssen vor Entgrenzung und Überlastung geschützt werden

Für Beschäftigte, die keine Work-Life-Integration wollen, muss es möglich sein, Berufs- und Privatleben klar zu trennen und Zeiten der Nicht-Erreichbarkeit zu haben.

7. Förderung der Resilienz von Unternehmen

Förderung von langfristiger Flexibilität, um Krisen bzw. Konjunkturschwankungen besser auszugleichen

8. Förderung von Vorruhestandsmodellen

Senkung der Belastung im Alter, um Mitarbeiter möglichst lang arbeitsfähig zu halten, damit sie gesund in den Ruhestand kommen

Was könnten dann die Rahmenparameter sein, die dieses Zielsystem unterstützt?

1. Teilweise Erweiterung der maximalen Arbeitszeit pro Tag auf 12 Stunden an zwei Tagen pro Woche

Insgesamt sind die maximal 10 Stunden Arbeitszeit pro Tag durchaus eine sinnvolle Obergrenze. Gerade bei harten körperlichen Arbeiten oder bei Konzentrationsarbeiten ist selten mehr möglich. Allerdings gibt es auch eine Vielzahl von Tätigkeiten, die körperlich oder geistig nicht so belastend sind, als dass man sie nicht auch mal länger durchführen kann.

Und es kann immer wieder passieren, dass betriebliche Störungen oder Deadlines an bestimmten Tagen den vollen Arbeitseinsatz benötigen. Daher sollte es möglich sein, dass an zwei Tagen pro Woche bis zu 12 Stunden gearbeitet werden kann. Die Vorrausetzungen hierfür sind:

  • Beschäftigte dürfen nicht zu diesen 12-Stunden-Einsätzen gezwungen werden
  • Beschäftigte, die dies im Rahmen des betrieblichen Bedarfs freiwillig tun, dürfen nicht daran gehindert werden
  • Es gibt keinen Anspruch auf 12-Stunden-Einsätze durch die Mitarbeitenden
  • 12-Stunden-Einsätze dürfen nur bei Tätigkeiten möglich sein, die körperlich und geistig über diesen Zeitraum auch durchzuhalten sind. Die Entscheidung darüber ist mitbestimmungspflichtig
  • Planerisch sind 12-Stunden-Einsätze nur durch Genehmigung des Betriebsrates möglich und auch nur, wenn dadurch andere Vorteile wie z.B. mehr freie Tage erzielt werden können.

2. Begrenzung der maximalen Wochenarbeitszeit bleibt bei 60 Stunden

Die möglichen 12-Stunden-Einsätze sollen nicht zu einer Erhöhung der maximal möglichen Wochenarbeitszeit führen.

3. Begrenzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit für sechs Monate auf 42 Stunden

Aktuell liegt die Grenze bei 48 Stunden. Diese 48 Stunden heißen realistisch gesehen, dass Beschäftigte jede Woche an 6 Tagen 8 Stunden arbeiten können. Wenn diese Stunden alle ausbezahlt werden, ist dies eine Arbeitsbelastung, die früher oder später krank machen wird. Daher wird vorgeschlagen, diese Grenze auf 42 Stunden zu senken.[1]

Diese Grenze kann auf 50 Stunden angehoben werden, wenn die über die 42 Stunden hinausgehende Mehrarbeit auf ein betriebliches Langzeitkonto oder ein Lebensarbeitszeitkonto (beides gegen Insolvenz gesichert) gebucht wird oder über ein Jahresarbeitszeitkonto innerhalb eines Jahres wieder ausgeglichen werden kann. Dadurch gewinnen die Unternehmen einerseits Flexibilität bei langandauernden Bedarfsspitzen, andererseits ist sichergestellt, dass die Mitarbeitenden durch Abbau der Langzeitkonten an anderer Stelle wieder Erholungsphasen bekommen, die die Zusatzbelastung ausgleichen.

4. Reduktion der Ruhezeit auf 8 Stunden einmal pro Woche

Einmal pro Woche dürfen Mitarbeitende die Ruhezeit auf 8 Stunden kürzen. Dies ist dafür gedacht, um auf Notsituationen oder ggf. auf private Ereignisse besser reagieren zu können. Die verringerte Ruhezeit darf planerisch nicht durch das Unternehmen vorgegeben werden.

5. Recht auf Zeiterfassung mit Möglichkeit des freiwilligen Verzichts durch Mitarbeitende

Unternehmen müssen es allen Beschäftigten ermöglichen, ihre Arbeitszeiten in einem elektronischen System nachvollziehbar zu dokumentieren, um möglichen Verstößen gegen ein Arbeitszeitgesetz entgegenwirken zu können.

Mitarbeitende sollen aber die Möglichkeit bekommen, freiwillig im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit auf diese Zeitdokumentation zu verzichten, sofern sie „die Dauer der Arbeitszeit selbst festlegen können“ (siehe Öffnungsklausel EuGH). In jedem Fall müssen aber die Beschäftigten das Recht auf Zeiterfassung auch bei vertrauensbasiertem Arbeiten erhalten, wenn sie dies wünschen. Entweder in einer abgeschwächten Form wie z.B. Erster Arbeitsbeginn des Tages und letztes Arbeitszeitende des Tages und der Dauer, die an dem Tag gearbeitet wurde.

Beispiel: Die Arbeitsleistung wurde zwischen 08:00 Uhr und 19 Uhr erbracht, in dieser Zeit wurde 7 Stunden gearbeitet. Damit können auch Zeiten bei praktiziertem „Work Life Blending“ pragmatisch und ohne allzu großen Aufwand erfasst werden.

Alternativ muss es den Beschäftigten aber auch zustehen, jeden Arbeitsslot separat zu erfassen:

8:00 – 9:20 Uhr Arbeit

10:00 – 10:10 Uhr Arbeit (Telefonat an der Supermarktkasse)

10:45 – 12:30 Uhr Arbeit

13:20 – 14:35 Uhr Arbeit

15:30 – 19:00 Uhr Arbeit

Andererseits kann auch von Arbeitgeberseite vorgegeben werden, welche Form der Erfassung erwünscht ist. Die Nicht-Dokumentation von Zeiten kann der Arbeitgeber hingegen nicht von den Beschäftigten verlangen, dies können nur die Mitarbeitenden für sich entscheiden.

Auf diese Weise haben alle Beschäftigten die Möglichkeiten, Zeiten zu dokumentieren, wenn sie das Gefühl haben, dass die Menge der Aufgaben dazu führt, dass sie das Arbeitszeitgesetz nicht einhalten können bzw. die Arbeitszeit dauerhaft über der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit liegt. Andererseits erspart man den Beschäftigten, die in nach eigener Einschätzung gut funktionierenden Vertrauensarbeitszeitsystemen arbeiten, die Erfassungsaufwände und gibt ihnen die Möglichkeit, die Arbeitszeit unter Wahrung der betrieblichen Bedürfnisse maximal flexibel im eigenen Sinne zu gestalten.

Darüber hinaus wird empfohlen auch die zweite Öffnungsklausel des EuGh-Urteils zu nutzen und die Zeiterfassungspflicht für Kleinunternehmen bis zu 15 Beschäftigten auszusetzen.

6. Regelungen zur Mobilen Arbeit / Homeoffice

Grundsätzlich sollte geklärt werden, wann mobile Arbeit und wann ein Homeoffice vorliegt. Beispielsweise könnte mobile Arbeit so definiert werden, dass diese vorliegt, wenn die Erarbeitung von konkreten Ergebnissen im geringen Umfang ortsungebunden erfolgen kann. Von Homeoffice spricht man dagegen, wenn die Arbeitsleistung regelmäßig vom häuslichen Arbeitsplatz aus erbracht wird. Die jeweils benötigte Ausstattung sollte explizit nicht per Gesetz geregelt werden, sondern zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitervertretung im jeweiligen Unternehmen. Es muss allerdings klar sein, dass die Arbeitsschutzvorschriften auch im Homeoffice gelten.

Grund für die Bevorzugung einer betrieblichen vor einer gesetzlichen Regelung ist, dass die jeweils benötigte Ausstattung extrem variabel in Art und Umfang sein kann.

So kann es von der Tätigkeit abhängen, welche technische Ausstattung und Bandbreite nötig ist. Für normale Bürotätigkeiten könnte ein Notebook reichen, während eine Leitstandüberwachung bis zu 3 Monitore benötigt. Ebenso wird die Ausstattung anders aussehen, wenn der Arbeitgeber sich durch das Homeoffice Büroplätze spart, als wenn das Homeoffice on Top zum Büroarbeitsplatz kommt. Darüber hinaus kann es sein, dass manche Beschäftige bereits komplett eingerichtete Büros haben, während andere vom Bürostuhl bis zum Mauspad alles neu anschaffen müssen.

Als Anreiz für Homeoffice könnte eine „Homeoffice“-Pauschale dienen, die Beschäftigte pauschal monatlich von der Steuer abziehen können, sofern sie regelmäßig im Homeoffice arbeiten. Im Gegenzug könnte man die Pendlerpauschale für administrative Berufe streichen.

Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die Möglichkeit haben, Beschäftigten, die nachweislich mit der Homeoffice Situation nicht umgehen können, eine bereits gewährte Möglichkeit zur Arbeit aus dem Homeoffice wieder zu entziehen.

7. Neuregelung der Wechselschicht / Nachtarbeit

Um sicherzustellen, dass selbst unnötige Nachtschichten nur aus finanziellem Interesse stattfinden, muss Nachtarbeit finanziell weniger attraktiv werden. Hierfür wird empfohlen die steuerlichen Freibeträge für Nachtarbeit zu streichen. Damit Geringverdienern dabei nicht die finanzielle Grundlage entzogen wird, muss der Grundlohn für Beschäftigte mit Wechselschicht und / oder regelmäßiger Nachtarbeit mindestens das 1,2-Fache des Mindestlohns bezahlt werden.

Um die körperliche Belastung zu reduzieren, wird empfohlen, statt der bisherigen Regelungen zum Nachtschichtzusatzurlaub einen 20%igen Zeitzuschlag für Arbeitszeiten zwischen 22 und 6 Uhr morgens zu gewähren. Die so entstandenen Zeitguthaben können dann stunden- oder tageweise abgebaut werden oder direkt als freie Tage in einen Schichtplan aufgenommen werden.

 8. Regelungen und Anreiz für Flexibilität

Statt der Überstundenzuschläge soll zukünftig Flexibilität mehr honoriert werden. Denn Flexibilität umfasst nicht nur die Bereitschaft für Überstunden, sondern auch die Bereitschaft für Minderarbeit, wenn weniger zu tun ist. Dies führt insgesamt zu weniger Überstunden und damit auch zu weniger Belastung für die Beschäftigten. Um dies für Unternehmen und Beschäftigte attraktiv zu machen, wird vorgeschlagen, dass Zulagen für Flexibilität pro Monat bis zu einer bestimmten Grenze steuerfrei ausbezahlt werden können.

Zur Schaffung von Rechtssicherheit sollte die Ankündigungsfrist für Arbeitszeiten von 4 Tagen für alle Mitarbeitenden gelten. Dennoch muss es auf betrieblicher Ebene möglich sein, Modelle zu definieren, die kürzere Ankündigungsfristen beinhalten. Die Teilnahme an diesen Modellen muss aber freiwillig sein.

9. Recht auf Nicht-Erreichbarkeit

Genauso wie man es respektieren muss, dass Mitarbeitende Work-Life-Blending mit einem hohen individuellen Freiheitsgrad möchten, muss man respektieren, dass es Mitarbeitende gibt, die eine klare Abgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben wollen. Deshalb muss es ein Recht auf Nichterreichbarkeit geben. Dies kann man gerne in einem Gesetz festschreiben, aber da die jeweilige Ausgestaltung extrem von unternehmensindividuellen Gegebenheiten wie z.B. Öffnungszeiten, Betriebszeiten, Servicezeiten etc. abhängt, sollte diese im Rahmen von Betriebsvereinbarungen vorgenommen werden.

 

Werden die genannten Ziele durch diese Regelungen erreicht?

Zu Beginn dieses Entwurfs wurden Grenzen und negative Auswirkungen der heutigen Regelungssituation dargelegt. Im Folgenden soll nun überprüft werden, inwieweit sich die jeweilige Situation durch die neuen Vorschläge verbessern würde.

  1. Work Life Blending nur bedingt möglich

Die geschilderten Beispiele könnten gesetzeskonform gehandhabt werden. Durch einen freiwilligen Verzicht auf die Zeiterfassung könnten die Erfassungsaufwände wegfallen bzw. minimiert werden. Selbst bei einer exakten Zeiterfassung könnten die meisten geschilderten Fälle durch die Erweiterung auf maximal 12 Stunden Arbeit pro Tag bzw. die freiwillige Reduzierung der Ruhezeit (1 x pro Woche) im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gehandhabt werden. Einer möglichen Entgrenzung der Arbeit kann durch das Recht auf Nichterreichbarkeit außerhalb definierter Zeiten entgegengewirkt werden.

  1. Eintägiger Einsatz von Außendienstmitarbeitenden beim Kunden nur schwer möglich

Durch die 12-Stunden-Regel können Mitarbeitende auf freiwilliger Basis flexibler werden und ggf. mehr Abende bei der Familie verbringen. Einer Überlastung wird einerseits durch die langfristige gesenkte durchschnittliche Arbeitszeit und andererseits durch die Hürden bei der Anordnung von 12 Stunden durch den Arbeitgeber entgegengewirkt.

  1. Anreizsystem für ungesunde Nachtarbeit / 8. 8-Stunden-Wahn und 40-Stunden Woche

Durch die Abschaffung des Freibetrages für Nachtzuschläge entfällt der Anreiz, möglichst viele Nachtschichten zu machen. Ein Ausgleich findet für Geringverdiener durch die Anhebung des Mindestlohns für Mitarbeiter mit regelmäßiger Nachtschichttätigkeit statt. Die Belastung wird durch den Zeitzuschlag auf Nachtarbeit reduziert.

  1. Anreizsystem für Zeitverbrauch

Dadurch, dass Flexibilität durch den pauschalen Steuerfreibetrag attraktiver wird als eine Mehrarbeitsstunde und Minderarbeit in bedarfsschwachen Zeiten dadurch auch attraktiv wird, sinken die Überstunden und die Belastung.

  1. Anreizsystem für Pendeln

Wenn es einen Freibetrag für Homeoffice statt der Pendlerpauschale gibt, könnte dadurch der Anteil des Homeoffice gesteigert und damit die Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätten reduziert werden.

  1. Mangel an kurzfristiger Flexibilität

Dadurch, dass explizit Modelle mit kurzfristiger Flexibilität erlaubt werden, erhalten die Betriebe eine Möglichkeit, den realen kurzfristigen Flexibilitätsbedarf zu decken. Dadurch, dass diese Modelle aber durch Mitarbeitende nur freiwillig gewählt werden können, gibt es einen Druck auf die Arbeitgeber, diese Modelle auch attraktiv für die Mitarbeitenden zu gestalten.

  1. Vertrauensarbeitszeitsysteme funktionieren nur bedingt

Vertrauensarbeitszeitsysteme, die nur darauf aus sind, unbezahlte Mehrarbeit zu erhalten, werden unmöglich, da die Beschäftigten jederzeit verlangen können, an der Zeiterfassung teilzunehmen. Funktionierende Vertrauensarbeitszeitsysteme können maximal flexibel für Unternehmen und Beschäftigte gestaltet werden und unbürokratisch durch einen möglichen Verzicht bzw. durch eine vereinfachte Zeiterfassung administriert werden. Einer Entgrenzung von Berufs- und Privatleben kann durch das Recht auf Nichterreichbarkeit vorgebeugt werden.

 

Wie ist dieser Entwurf zu verstehen?

Wie bereits erwähnt, erhebt der vorgestellte Entwurf nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und ist rein thematisch, fachlich zu verstehen. Uns ist bewusst, dass bei der Umsetzung in geltendes Recht eine Vielzahl von juristischen Themen und Fallstricken zu klären ist.

Insgesamt ist der Entwurf als Gesamtsystematik zu verstehen, die nur in ihrer Gesamtheit die entsprechende Wirkung erzielt. Anregungen, Ergänzungen und kritische Kommentare sind willkommen, solange sie der Erreichung der Gesamtzielsetzung dienen oder diese sinnvoll erweitern. Der Gesamtentwurf beinhaltet Bonbons und Kröten sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer und hat den Anspruch eine Balance zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen herzustellen (sollte dies nicht so empfunden werden, stehe ich gerne zur Diskussion zur Verfügung). Einseitiges Cherry-Picking – egal von welcher Seite – wird diese Balance stören.

 

Fazit

Die Neuregelung der Arbeitswelt kann sich nicht auf das Erlassen einzelner neuer Gesetze (siehe Homeoffice-Gesetz) beschränken, sondern muss die gesamte bis dato geltende Rechtsgrundlage mit einbeziehn. Daher müssen neben dem Arbeitszeitgesetz auch andere Gesetze und tarifliche Vereinbarungen mit Auswirkung auf die Arbeitszeitgestaltung in die Betrachtung einbezogen werden. Der vorliegende Entwurf soll als Diskussionsgrundlage gesehen werden, diesen Gestaltungsprozess anzustoßen.

[1] Die Bereitschaftszeiten z.B. im Krankhaus müssten an dieser Stelle separat betrachtet werden

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